Familienkirche – vertraut und neu zugleich

Die vier Wege zur Familienkirche

Der Begriff „Familienkirche“ wird ganz unterschiedlich verwendet und damit wird die Herkunft dieses Modells deutlich.

  1. Unter „Familienkirche“ versteht man in manchen Gegenden Familiengottesdienste, analog zu „Kinderkirche statt Kindergottesdienst“. Manchmal – aber eher selten werden auch nur die Gottesdienste für Kleinkinder mit Eltern Familienkirche genannt.
  2. Inhaltlich erweitert werden in manchen Gemeinden alle Angebote für Kinder und Familien, die miteinander vernetzt und verbunden sind, als Familienkirche bezeichnet. Man stellt sich als Familienkirche dar.
  3. Aus dem Kindergottesdienst entstand eine dritte Variante: Immer wieder kamen Eltern zu Kindergottesdiensten mit. Manche blieben kürzer und manche länger, einige feierten mit und tranken während der Gruppenphase eine Tasse Kaffee oder Tee. Sie schauten den Mitarbeitenden bei den Angeboten über die Schultern oder fassten selbst mit an. In einigen Gemeinden wurden dann parallel zu den Kindergruppen auch inhaltliche Gruppen für die Erwachsenen angeboten, sodass die Eltern selbst arbeiten konnten. Meist waren diese Angebote niedrigschwellig, d.h. die Eltern konnten sich behutsam auf die Gruppe einlassen.

Aus all den Erfahrungen entwickelten wir die Idee zu einer eigenen Gottesdienstform, der Familienkirche.

Familienkirche – ein alter neuer Weg

Das Konzept entstand einerseits aus einem Teil der obigen Erfahrungen und andererseits aus gemeindepädagogischen und gemeindesoziologischen Überlegungen. Wir haben eine veränderte Familienstruktur und daraus resultierende Veränderungen vor uns:

  • Familien sind am Samstag flexiber als am Sonntag. Damit wird das Bringen der Kinder am Sonntag nicht zur Selbstverständlichkeit.
  • Mit dem Verkauf vieler Gemeindehäuser und Kirchen sind auch in Städten die Kirchen und Gemeindehäuser nicht mehr in der Nähe der Menschen. Sie erfordern eine Bringstruktur. (s.o).
  • Kinder werden als Zielgruppe immer jünger. Sobald Kindergarten- kinder einbezogen werden, ist die Bringstruktur dominant. Das Abholen durch Gemeindebusse kann dies nur teilweise ersetzen.
  • Familien möchten – gerade im bürgerlichen Milieu – sonntags lieber etwas zusammen unternehmen, als getrennt.
  • Familien nehmen lieber Einzelangebote als zu häufige Angebote an. Regelmäßigkeit und Vertrautheit ergänzen sich gut, wenn unter Regelmäßigkeit nicht „wöchentlich“ verstanden wird, sondern ein immer wiederkehrendes und wiedererkennbares Angebot.
  • Erwachsene brauchen auf Dauer keine Familiengottesdienste, die sie wegen der Kinder besuchen. Hier muss eine Motivationsverschiebung von der fremdbestimmten Motivation „Ich komme wegen meiner “ zur subjektiven Motivation „Ich komme, weil es mich fördert und mir gut tut“ stattfinden. Außerdem: der Spagat des Familiengottesdienstes zwischen Banalisierung und Elementarisierung gelingt nicht immer.

Das Familienkirchenmodell

Erfahrungen, auf die wir aufbauen

Familienkirche ist ein Gottesdienstmodell.
Das vorgestellte Modell greift auf viele Vorerfahrungen zurück und ist damit neu und gleichzeitig traditionsverbunden.
Es fließen Erfahrungen der liturgischen Nächte von den vergangenen Kirchentagen der siebziger bis neunziger Jahre ein. Dort erlebte Gottesdienstelemente, z.B. Musik, Texte, Gebete und persönliche Erfahrungen im Gespräch oder Übungen mit Anderen, sind nicht nur engagierten Eltern vertraut. Es gilt nun an die frühen Erfahrungen dieser ganzen Generation anzuknüpfen.
Die populäre und geistliche Musik der letzten 40 Jahre ist sowohl die Musik der Eltern, als auch in ihrer Weiterentwicklung die Musik der Kinder. Die Fremdheit eines großen Teiles des traditionellen Liedgutes gilt gleichermaßen für Eltern und Kinder. Vertrautheit wächst mit der eigenen Erfahrungen, dass Altes durchaus neu sein kann und dadurch, dass Vertrautes gepflegt wird. Die Entdeckung der existentiellen Methoden (sie enthalten spirituelle und damit inhaltliche Implikationen), z.B. Bibliodrama, Imagination, Körperarbeit, Tanz, fördert die Erfahrung von Glauben, seine Reflektion und die Früchte, die aus dem Glauben erwachsen. Existentielle Methoden unterstützen, in bestem protestantischen Sinne, die unmittelbare Begegnung und Auseinandersetzung mit Gott und den Menschen. Der Christ ist und wird mündig und zwar von Kindheit an.
Bei Kinderbibeltagen haben wir mittlerweile eigene Elterngruppen angeboten und dies wurde oft mit Erfolg und Begeisterung aufgenommen.

Kinder und Erwachsene als gleichberechtigte Teilnehmer

Kinder und Erwachsene sind beide Subjekte des Gottesdienstes, beide werden gleichermaßen ernst genommen. Sie kommen beide vor und dies bedingt, dass sie auch an den Erfahrungen der Anderen teilhaben, auch wenn nicht alles immer primär für sie gedacht ist. So machen beide Gruppen Erfahrungen der Rücksichtnahme, der Begrenzung (nicht alles ist immer für mich) und der gegenseitigen Förderung.

Dies hat Konsequenzen:

  • Liturgisch gibt es unterschiedliches Liedgut. Von „Laudato si“ über „Möge die Straße uns zusammen führen“, „Geh aus mein Herz“ oder „Tears in heaven“ oder dem Gospel „Amen“ oder einer Bachschen „Toccata“ ist vieles möglich, aber nicht alles. Kriterium für Musik ist inhaltliche und musikalische Qualität.
  • Nicht jeder Text, nicht jedes Gebet, ist für jeden gleichermaßen gedacht oder muss altersübergreifend sein, alle Menschen im Gottesdienst werden angesprochen, aber nicht immer zur selben Zeit.
  • Eingeladen wird erst mit dem Kindergartenalter. Jüngere Altersgruppen brauchen jedes Mal eine gesonderte und längere Kinderbetreuung!!! außerhalb des Gottesdienstes.
  • Der Gottesdienst lädt Kinder, Jugendliche und Erwachsene ein. Er hat die Familie im Blickfeld, aber wendet sich gleichzeitig an Alleinstehende, Senioren, junge Erwachsene,… Nicht die Zielgruppe ist der Orientierungspunkt, sie ist allenfalls der Ausgangspunkt und der Kernbereich. Orientierungspunkt ist der Inhalt, die Methodik, die Art der Durchführung und der Gestaltung.
  • Das gleichzeitige Ernstnehmen von Kindern, Erwachsenen und auch Jugendlichen, führt zu altersspezifischen Gruppenphasen im Gottesdienst. Damit sind auch altersgemischte Gruppen, wo es inhaltlich und methodisch sinnvoll ist, möglich. Aber sie sind eher die Ausnahme. Es ist gewollt, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene ihre eigene Gruppe bilden. Wenn jeder Subjekt des Gottesdienstes sein soll, dann ist diese Trennung notwendig/konstitutiv.
  • Wenn diese Art des Gottesdienstes über den Insiderkreis hinaus Menschen erreichen will, dann erwartet er keinerlei Kenntnisse und Erfahrungen der Teilnehmenden. Gleichzeitig freut er sich über jeden erfahrenen Teilnehmer, denn dieser trägt durch seine Mitwirkung und Mitgestaltung die Gesamtatmosphäre.
  • Das Thema und somit der Bibeltext, muss altersübergreifend relevant und einladend sein. Es gilt dieses Thema zu entfalten, es zu vermitteln und zu erschließen. Er – Kenntnis ergibt sich aus dem Erleben und der Gestaltung besonders in der Gruppenphase.
  • Wenn Gottesdienste erfahrungsorientiert und altersübergreifend gefeiert werden sollen, bedarf es eines Teams, das bereit ist sich zu entwickeln und zu qualifizieren.

Der Ablauf einer „Familienkirche“

  1. Ausführliche Liturgiephase mit viel Musik, Anspielen oder kreativen Aktionen
  2. Gruppenphase Es werden verschiedene erfahrungsorientierte Arbeitsgruppen angeboten Zeitdauer ca. 60 Minuten

    Beispiele für Erwachsene und Jugendliche ab 15/16 Jahren:
    – Bibliodramatische Annäherungen an den Text
    – Erschließen des Textes über Interaktionsübungen
    – Meditative Übung zum Thema der Geschichte und Vertiefung
    – Imagination zu dem Text

    Beispiel für Kinder (Grundschulalter): 3 Möglichkeiten
    – Imagination zum Text
    – Die biblische Geschichte mit Klang erschließen, ausdrücken und gestalten
    – Die Geschichte mit Bodenbildern (Kett) religionspädagogisch und sinnenhaft erschließen, erzählen, entfalten und vertiefen

    Jüngere Kinder: 2 Möglichkeiten
    – Erzählung mit dem Sandkasten, danach Ausdruck durch Nachspielen oder Gestalten der Figuren in Ton oder Malen mit Zauberkreide
    – s.o. Die Geschichte mit Bodenbildern

    Abschluss in jeder Gruppe durch eine kurze Aktion
    (z.B. ein Plakat malen – aktion painting – braucht 2 Minuten).

    Wichtig ist das nach der Gruppenphase in der Kirche ein Übergang mit einer Warteschleife eingebaut wird, z.B. durch eine Musikphase zum Mitsingen, Hören und Mitmachen bis alle da sind.

  3. Liturgischer Abschluss
    Der Abschluss enthält KEINE Berichtsphase, aber eine Phase der Stille (2 – 3 Minuten Innehalten – eventuell mit Musik) und dazu die Fragen:
    Was nehme ich mit? Was fördert mich aus diesem Gottesdienst – ohne Berichte
    Eventuell haben Taufen und Abendmahlsfeier hier ihren Ort.

    Liturgische Besonderheiten
    Der Gottesdienst lässt viele liturgische Möglichkeiten zu. Die konkrete Ausgestaltung hängt von Vorgaben der Ortsgemeinde, dem Thema und dem Team ab. Hierbei müssen alle Möglichkeiten und auch die eigenen Grenzen berücksichtigt werden.
    Besonders wichtig ist bei diesen Gottesdiensten die Musik. Sie verbindet die Generationen, ermuntert zum gemeinsamen Singen, zum Hören und verbindet Stille mit Gestalten. Sie kann eigenständig eingesetzt werden und gleichzeitig sich einordnen und dem Ganzen nutzen und dienen. Dabei muss keine große Band spielen, sondern die Musik muss gekonnt und mitreißend sein. Ein guter begeisterungsfähiger Klavierspieler ist besser und sinnvoller geeignet, als eine schlechte und eventuell nur zu laute Band. Genauso notwendig sind gute Sängerinnen und Sänger, zumindest ein guter „Anstimmer“ sollte mitwirken.
    Bei diesen Gottesdiensten unter dem Stichwort Familienkirche kann die musikalische Gestaltung wechseln, es kann mal der Gospelchor und mal eine Band sein. Allerdings muss! die Musikrichtung und die Liedauswahl den Anwesenden werden.
    Geschieht stattdessen Belehrung, penetrantes Einüben von Liedern und Durchsetzung von persönlichen Vorlieben (egal aus welcher Richtung) hat sich das ganze Projekt erledigt.
    Insgesamt ist darauf zu achten, dass aktive Beteiligung und Einbeziehung der Mitfeiernden immer wieder möglich ist. Ohne echte Beteiligungsmöglichkeiten wird der Gottesdienst nicht zur gemeinsamen Feier, sondern bleibt eine Veranstaltung mit Mitmach-Charakter.

Viele Teams arbeiten an einem Ganzen

 Durch die Aufteilung der Aufgaben auf größeres Team, eine klare Leitungsstruktur und gute Kommunikation, wächst ein gemeinsamer Gottesdienst zusammen. Das Spannende an diesem gemeinsamen Prozess ist nicht nur das Ergebnis, sondern auch der gemeinsame Weg.

Folgende Teams sollten gebildet werden:

  • Liturgiegruppe 2-3 Teamer
  • Gruppe für Erwachsene (pro 15 Personen braucht man 1-2 Teamer)
  • Gruppe für Kinder (pro 10 Kindern 1-2 Teamer)
  • Musikgruppe
  • Leitung und Koordination (2 Teamer)

Das bedeutet, dass für einen solchen Gottesdienst mit 100 Besuchern, davon 30 – 40 Kindern, mindestens 14 bis 15 Teamer gebraucht werden. Dazu kommt noch die Musikgruppe. Die Zahl der Teamer ist durch die Mitarbeit des Kindergottesdienst- bzw. Kinderbibeltagteams, einigen Pädagogen aus dem Kindergarten und Schulbereich, Presbytern und Hauptamtlichen nicht so schwer zu gewährleisten.

Ohne Teamarbeit sind diese Gottesdienste nicht zu gewährleisten und nicht zu gestalten. Gerade die Entwicklung eines gemeinsamen Konzeptes macht Freude, fördert die Zusammenarbeit und lässt Glauben sichtbar und fruchtbar werden.
Das Team braucht für die Motivation und die Ernsthaftigkeit eigene Verantwortung, eigene Entscheidungsbereiche und Kompetenzen, dabei werden die Inhalte und die Entscheidungen durchaus kritisch reflektiert und dadurch verbessert.

Wie oft? Wie viel Werbung?
Erfahrungsorientierte Familienkirche ist ein Projekt, das regelmäßig, aber mäßig durchgeführt werden sollte. 2-3 Gottesdienste in dieser Art im Jahr sind ausreichend, sie sollen Familiengottesdienste, Kindergottesdienste u.ä. nicht ablösen, sondern die Gottesdienstmöglichkeiten von der inhaltlichen Ausrichtung und von der Zielgruppe her intensivieren. Familienkirche statt Kindergottesdienst ist keine Alternative, da so den Kindern ihr eigener Raum genommen würde. Natürlich ist für jeden Gottesdienst in dieser neuen Form immer wieder neu Werbung nötig. Kindergarten, Schule, Gesprächskreise, aber auch die Tagespresse sind Ansprechpartner und Werbeträger. Nach 2 Jahren, d.h. nach fünf bis sechs gefeierten Gottesdiensten, wird erst ersichtlich, ob diese Gottesdienstform angenommen wird.

Wo kann man dies miterleben?
Beim Kirchentag in Köln 2007 planen wir im „Zentrum für Kinder“ an jedem Tag eine „Familienkirche“. Dort kann man das Projekt kennen lernen und erleben.

Rüdiger Maschwitz

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