Wertvolle Landschaft mit Schlaglöchern

Artikelfassung (vor Endredaktion) für Zeitzeichen –Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft Mai 2006 von Rüdiger Maschwitz

Der Kindergottesdienst – einst eine kirchliche Sozialisationsagentur

Der Kindergottesdienst war einmal einer der motivierenden zentralen Sozialisationsräume für kirchliche Mitarbeitende. Generationen von Christen, seien es ehrenamtliche Mitarbeitende, Theologinnen und Theologen, Religionspädagogen und Verantwortliche in Presbyterien sind durch den Kindergottesdienst gefördert worden. Es gab viele wertvolle Prägungen und Erinnerungen, aber es gab auch schwierigen, zu strengen und schlechten Kindergottesdienst.

Die reichhaltige Kindergottesdienstlandschaft

Die Zeit des klassischen Kindergottesdienstes ist als einheitliches Gottesdienstfeld vorbei. Manche werden nun beim Lesen aufschreien und sagen: “Bei uns gibt es das noch!“ Dagegen gibt es keinen Widerspruch, aber Kinder begegnen heute nicht mehr einem Kinder-Gottesdienst, sondern vielen Formen von Gottesdiensten mit Kindern.

Dabei hat sich auch der Schwerpunkt der Altersgruppe verändert.

Es gibt nun den klassischen Kindergottesdienst am Sonntag parallel zu dem und nach dem Erwachsenengottesdienst, der oft immer noch gedankenlos als Hauptgottesdienst charakterisiert wird.

Der Kindergottesdienst parallel ist nur da sinnvoll, wo der Erwachsenengottesdienst junge Familien mit Kindern anspricht, erreicht und kontinuierlich einbezieht, sonst kommen einfach keine Kinder.

Der Kindergottesdienst, der nach den Erwachsenengottesdienst stattfindet, löst das Raumproblem (wer geht wo hin?) und gibt auch den Theologen und Theologinnen, die Chance der Mitarbeit.

Darüber hinaus haben sich gottesdienstliche Alternativen entwickelt:

  • der 14 –tägige Kindergottesdienst ( im Rheinland liegt er bei ca. 15 %)
  • der monatliche Kigo am Sonntag und am Samstag
  • und vereinzelt auch der wöchentliche Kindergottesdienst an Werktagen.

Zentrale Zielgruppe sind Kindergarten- und Grundschulkinder. Katechumenen spielen nur noch in einem Drittel der Gemeinden eine Rolle, Konfirmanden sind nur noch eine Randerscheinung.

Die monatliche Variante

Der monatliche Kindergottesdienst hat seinen eigenen Charakter und dauert oft zwei bis zweieinhalb Stunden. Die längere Zeit ermöglicht eine intensive Eingangsphase durch ein gemeinsames Frühstück und liturgische Besonderheiten. Hinzukommt eine wesentlich längere Gruppenphase, in der religionspädagogisch, als auch im Feiern ein biblischer Text entwickelt werden kann. So wird ein Andocken des Textes und seiner Inhalte an die Erfahrungswelt der Kinder leichter.

Im Rheinland verteilt sich diese Form des Kindergottesdienstes schwerpunktmäßig auf Sonntag und Samstagvormittag gleichermaßen und lag zu unserer Überraschung bei einer repräsentativen Umfrage im gesamten Rheinland nicht höher als bei 25%.

Der monatliche Kindergottesdienst hat einen wesentlich höheren Eventcharakter, als der wöchentliche. Auch er lebt von der Beziehung zwischen Mitarbeitenden und Kinder, die für den wöchentlichen Kigo konstitutiv ist.

Vom Kindergottesdienst zu den Gottesdiensten mit Kindern.

Wie schon angedeutet erleben Kinder und ihre Familien ein weites Spektrum von Gottesdiensten, die sie bis zum 14. und 15. Lebensjahr begleiten. Oft steht der Taufgottesdienst nach der Geburt am Anfang eines möglichen und intensiven Kontaktes zur Kirchengemeinde. Dieser Kontakt kann sich sozialisationsbegleitend über die Krabbelgottesdienste für die ganz Kleinen, die Kindergarten- und Schulgottesdienste vorsetzen. Die gesamte Kindergarten- und Grundschulzeit kann so begleitet und gestaltet werden. In NRW gibt es noch die Möglichkeit der Kontaktstunden, die oftmals zu einer (ökumenischen) Projektphase zusammengelegt werden. Neben diesen oft auch „übergangsorientierten“ gottesdienstlichen Angeboten, z.B. Abschied im Kindergarten oder Einschulung sind, kommen als geistliche Angebote für Kinder und ihre Familien die oben beschriebenen Kindergottesdienstformen, die Kinderbibeltage- und wochen, Familiengottesdienste und religiöse Angebote auf Freizeiten hinzu. Nach der Grundschule gelingt es wiederum über die Schulgottesdienste, den Kirchlichen Unterricht und eigene Teeniegottesdienste den jungen Menschen mit einem geistlichen und lebensbezogenen Angebot nahe zu sein.

In keinem Altersabschnitt kann Kirche ein so dichtes, spannendes und erlebnisreiches Feld von geistlichen Erfahrungen anbieten.

Erfahrungsorientierte Wege des Glaubens

Die größten Veränderungen geschahen innerhalb der letzten 15 Jahre in der methodischen Arbeit und Umsetzung biblischer Geschichten im Kindergottesdienst. Schon immer war dieser Bereich von großer Phantasie und Kreativität geprägt. Es wurde gebastelt und gewerkelt. Dies wurde aufgenommen und erweitert, damit die biblischen Geschichten in die Lebenswelt der Kinder hineinwirken.
Erfahrungsorientierte Arbeitsformen, wie z. B. Imaginationen zu biblischen Geschichten und Motiven, religionspädagogischen Arbeit nach F. Kett, bibliodramatische Ansätze für ältere Kinder und die Mitarbeitenden, Vertiefungsformen nach dem Erzählen einer Geschichte, liturgische und pfiffige Tänze und eine eigene Liedkultur sind einige Beispiele. Existentielle Methoden ermöglichen nun, dass das Kind in seiner Existenz angesprochen wird und sich wertgeschätzt fühlt.1) Glaube wird so zur eigenen Wirklichkeit. Ein weiterer Schritt führte in der Fortbildungsarbeit für Jugendliche und Erwachsene dazu dieselben, ähnliche und weiterführende Methoden einzubringen. Endlich gelingt es in der Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbildung mit differenzierten und ähnlichen Methoden zu arbeiten. Das neue Handbuch „Kirche mit Kindern“ trägt dem Rechnung und zeigt dazu Wege auf. 2)

Vom hausgemachten Frust

 Warum aber fällt es Kirchengemeinden so schwer dies umzusetzen und zu gestalten? Bevor ich auf diese Frage eingehe, ist eine Feststellung nötig: Viele Kirchengemeinden arbeiten und gestalten für Kinder und ihre Familien (Eltern, Großeltern und erwachsene Freunde) eine intensive und äußerst erfreuliche Arbeit. Es entstehen dabei zahlreiche und gelingende Modelle, die auch bei finanzieller Knappheit eine tolle Arbeit in der Kirche mit Kindern und mit engagierten Mitarbeitenden gewährleisten.

Ein großer Teil der Enttäuschungen in der Kirche mit Kindern ist hausgemacht und damit auch veränderbar.
Oft genug wird gar keine Entscheidung für die Arbeit mit Kindern getroffen, sie soll „erfolgreich“ nebenher gemacht werden. Dies funktioniert nie. Wenn die Prioritäten (es kann durchaus mehrere gleichrangige Wichtigkeiten geben!) in der Gemeindearbeit woanders liegen, dann nehmen Eltern und Kinder wahr, dass sie nicht wichtig sind.

Zum anderen werden die Zahl, der zu erreichenden Kinder überschätzt und selten überprüft. In unserer Arbeit habe ich festgestellt, dass 10% der Kinder, die in der Gemeindeliste geführt werden, in der jeweiligen Altersgruppe für den normalen Kindergottesdienst erreichbar sind. Für den monatlichen Kindergottesdienst ist diese Zahl mit 10% plus X zu veranlagen.
Wöchentlicher Kindergottesdienst ist bei einer Gesamtzahl von Kindern in der entsprechenden Zielgruppe selten unter 200 Kindern sinnvoll. Es sind dann 20 Kinder erreichbar, die sich auf vier Sonntage verteilen und auch nicht immer kommen. Die Besucherzahl liegt dann bei ca. 2 Besuchen pro Monat (40 Besucher geteilt durch 4 Sonntage) bei 5 – 15 Kindern. Wenn diese Regel nicht ernst genommen wird, führt ein zentraler demografischer Wandel – es gibt wesentlich weniger Kinder – zu massiven Enttäuschungen und Täuschungen. Kirchenvorstände und Theologen träumen oft von früheren Zeiten. Anfang der 80ziger Jahre gab es so viele Kinder, dass der Kindergottesdienst zu blühen schien und in meiner damaligen Gemeinde oft an Besuchern den Erwachsenengottesdienst überflügelte. Diese Kinderzahlen gibt es einfach nicht mehr. Als Faustregel lässt sich sagen, dass heute im Vergleich zum Ende der siebziger oder Anfang der achtziger Jahre nur noch ein Drittel der Kinder da sind.

Grundsätzlich lässt sich sagen: Wer von falschen Kinderzahlen ausgeht, macht in der Regel das falsche Angebot.

Darüber hinaus wird die örtliche Situation nicht genug in den Blick genommen. Da immer mehr kleine Kinder kommen, bedarf es meist einer Bringstruktur. Kinder müssen gebracht werden, wenn die Wege und ihre Sicherheit ein zu Fuß gehen nicht erlauben. Das kirchliche Angebot muss auch hier abgestimmt werden. In der Regel bringen Eltern ihre Kinder am Samstagvormittag lieber als am Sonntag, dafür bleiben sie samstags nicht so gerne.

Kinder kommen auch nicht, wenn das Team kein Team ist. Arbeit mit Kindern ist Beziehungsarbeit. Wenn Mitarbeitende nicht regelmäßig und verlässlich für die Kinder da sind, gelingen Gruppen (der Kindergottesdienst enthält stark gruppenbezogene Elemente) mit Kindern nicht. Deshalb können Mitarbeitende nicht den Kindergottesdienst „retten“ , wenn sie es irgendwie nebenher machen.

Es entstehen drei Probleme, die Kinder „abschrecken“:

  • die Beziehungen zu den Kindern werden nicht gepflegt
  • das Team pflegt keine eigenen Beziehungen und macht das ganze nebenher und hat deshalb keine Ausstrahlung
  • folgerichtig ist zu vermuten, dass dann die inhaltliche Arbeit leidet und weder interessant, spannend noch kreativ ist.

Somit macht dann die Gemeinde die Erfahrung – Markt orientiert gesprochen –dass, das Produkt „Kindergottesdienst“ von der Zielgruppe der Kinder und Eltern nicht angenommen wird.

Letztlich schaden die beiden folgenden Faktoren dann nur noch zusätzlich der Arbeit: Es gibt keinen geeigneten Raum, der für geistliche Arbeit mit Kindern (allein) zur Verfügung steht und die Fort- und Weiterbildung für Mitarbeitende ist eine Nebensache bzw. findet gar nicht statt.

Alle in diesem Abschnitt genannten Enttäuschungen sind behebbar und veränderbar, wenn die Verantwortlichen in einer Gemeinde es wollen. Allerdings gibt es immer noch einen letzten Faktor, der einerseits ein Totschlagargument ist und anderseits leider auch wahr ist: Jede Gemeinde ist anders und nicht alles ist überall möglich.

Oft genug fehlen auch die Mitarbeitenden. Wir haben ermutigende Erfahrungen: Engagierte Gemeinden haben engagierte Mitarbeitende, mal mehr, mal weniger, aber immer sind Menschen zur Mitarbeit bereit, wenn das Umfeld stimmt.
Dazu gehört eine sinnorientierte, geistliche Arbeit, die den Einzelnen in seinem Glauben fördert und ihm ein Aufgehoben sein in der Gemeinschaft ermöglicht.
Damit dies gelingen kann, gehören Mitarbeitendenpflege, hochwertige Fortbildungen, die sich auch für den beruflichen und privaten Lebensbereich förderlich auswirken, das Respektieren von zeitlichen und persönlichen Grenzen, ernsthafte Mitbestimmung und Mitverantwortung, Verlässlichkeit der Hauptamtlichen und der Leitungsorgane dazu.

Allgemeine Problemfelder

Die demografische Entwicklung gehört nicht zu den Problemen, sondern ist eine Tatsache, der Rechnung getragen werden muss. Ich möchte mich auf fünf allgemeine Problemfelder beschränken.

Jugendliche und erwachsene Mitarbeiter – ein grundlegender Wandel
Im Rheinland sind zur Zeit 75% der Mitarbeitenden Erwachsene, nur noch ein viertel sind Jugendliche. Es ist hier nicht der Raum für eine Begründung dieses Zustandes, er ist ein Faktum. Kirche mit Kindern als ein Feld der Jugendbildung und Jugendarbeit nimmt immer mehr ab und dies ist bedenklich. Es wird ein notwendiges und chancenreiches Prägungselement kirchlicher Arbeit kontinuierlich abgebaut. Die Einheit von der Jugendgruppe, die etwas für sich und andere tut, löst sich als Lern, Probier – und Begleitungsfeld zunehmend auf. Hier müssen wir ein Problembewusstsein und neue Konzepte entwickeln.

Frauen, Mütter, junge Mitarbeiterinnen bestimmen die Arbeit deutlich
 Prägend für die jetzige Arbeit mit Kindern sind die Frauen. Unter den Erwachsenen sind zur Zeit 97% der Mitarbeitenden Frauen, unter den Jugendlichen an die 75%. Unter den jugendlichen Mitarbeitenden ist also das männliche Geschlecht noch wesentlich stärker vertreten. In der Kirche mit Kindern setzt sich der gesellschaftliche Trend fort, dass Kinder fast ausschließlich weiblichen Mitarbeitenden und Lehrenden begegnen. Es erscheint dringend nötig, dass in Kindergarten, Hort, Grundschule und auch in der ehrenamtlichen Arbeit eine Männerquote und Männerförderung bei Mitarbeitenden festgeschrieben wird.

Der Verlust und der Ausstieg der Hauptamtlichen
In einigen Gemeinden ziehen sich die theologischen Hauptamtlichen aus der Kirche mit Kindern zurück, leider oft nicht im Sinne eine begrüßenswerten Gabenorientierung oder funktionalen Arbeitsaufteilung. Fast immer ist dieser Rückzug persönlich motiviert, oft nicht oder oberflächlich begründet (es kommt sowieso keiner) und reicht mittlerweile bis in den Kirchlichen Unterricht hinein. Manchmal wird diese Arbeit an neben- und hauptamtliche JugendmitarbeiterInnen delegiert, öfters an Ehrenamtliche, vor allem wenn Jugendmitarbeiter nicht zur Verfügung stehen.

Perspektivwechsel nicht vollzogen
Viele Gemeinden und ihre Mitarbeitenden haben die Diskussion um einen Perspektivwechsel in dem „Arbeitsfeld Kirche mit Kindern“ gar nicht wahrgenommen, geschweige denn vollzogen. Es ist vielen Mitarbeitenden unbekannt, dass es sinnvoll ist, vom Leben, Denken und Fühlen, von den Bedürfnissen und Möglichkeiten des Kindes her ganzheitlich und sinnlich Glauben zu vermitteln, zu gestalten und zu fördern.

Finanzen und Mitarbeitende
Die laufenden Finanzen für die Arbeit sind nicht das eigentliche Problem. Sonder- und Hochzeitskollekten, Spenden u.ä. können die laufende Arbeit sicherlich gewährleisten. Schwieriger und unverzichtbar ist es auf den Ebenen der größeren Kirchengemeinden, alternativ den Kirchenkreisen und in den Landeskirchen qualifizierte Hauptamtliche zu gewährleisten, die Ehrenamtliche fördern, fortbilden und begleiten. Hier gibt es neben den Einsichten in die Notwendigkeiten, auch Fehlentscheidungen durch radikalen Personalabbau. Ehrenamtliche und Hauptamtliche bedingen und ergänzen einander. Erst in einigen Jahren wird sichtbar werden, dass fehlende hauptamtliche auch fehlende ehrenamtliche Mitarbeitende bedingen.

Perspektiven

 Kirche mit Kindern ist eine der innovativen und geistlich prägenden Arbeitsfelder der evangelischen Kirche und im Vergleich der Ökumene einzigartig. Sie wird sich in den nächsten Jahren weiterhin verändern und sich verstärkt der ganzen Familie zu wenden (müssen).
Mit dem Konzept einer erfahrungsorientierten Familienkirche wird ein eigenständiger Bereich entstehen, der Kinder und Erwachsene in einem Gottesdienst als eigenes Subjekt gleichermaßen ernst nimmt. Beim Kirchentag in Köln werden diese Angebote im „Zentrum für Kinder“ (wahrscheinlich) beispielhaft realisiert werden. Gleichzeitig werden die verschiedenen Varianten des Kindergottesdienstes als Teil einer bunten und wertvollen Landschaft Bestand haben und sich (hoffentlich ohne Frustration) einer veränderten demografischen Entwicklung anpassen. So wird sich eine Veränderung der gesamten Gottesdienstlandschaft fortsetzen, die die jüngere Generation mit ihren geistlichen Prägungen und Erfahrungen auf und ernst nimmt.
All dies wird nur gelingen, wenn die Mitarbeitenden intensive theologische und religiöse Fortbildungen erfahren, die sie auch in ihrem persönlichen Leben bereichern und fördern.

  1. Gerda und Rüdiger Maschwitz, Existenzielle Methoden – gekonnt eingesetzt, Von Phantasiereise bis Körperarbeit, Kösel 2004
  2. Birgit Brügge-Lauterjung, Rüdiger Maschwitz, Martin Schoch, Handbuch “Kirche mit Kindern“, Verlag Junge Gemeinde 2005
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